Ich habe das Gefühl, an jeder Ecke warten neue Herausforderungen. So scheint es nicht nur mir zu gehen. „Ich bin gestresst!“ höre ich von ganz vielen Menschen. Gestresstes Verhalten nehme ich auch verstärkt im Job und sogar in der Öffentlichkeit war. Im Verkehr, beim Einkaufen oder auch beim Sport.
Stress ist ein sehr komplexes Thema mit großem Einfluss auf unsere körperliche und mentale Gesundheit. Trotz der Komplexität von Stressauslösern müssen wir nicht hilflos zusehen, sondern können Verantwortung für uns übernehmen. Meist denken wir zunächst daran, im „Außen“ etwas verändern zu müssen. Das ist naheliegend, aber zu kurz gegriffen. Wir haben auch einen eigenen Anteil am Stressgeschehen. Und das ist gar nicht schlecht, denn dadurch können wir die eine oder andere Stressfalle frühzeitig erkennen und umgehen.
Stress ist relativ und immer individuell
Stress im Allgemeinen spüren wir, wenn wir das Gefühl haben, einer Situation gegenüberzustehen, in der uns etwas fehlt, um damit umzugehen. Z.B. nicht genügend Zeit, nicht das richtige Werkzeug, nicht alle Informationen oder ähnliches.
Im Stress sind wir also, wenn persönlich bedeutsame Ziele, Motive oder Werte bedroht sind und wir unsicher sind, wie wir die Situation erfolgreich bewältigen können.
Aus evolutionärer Sicht ist Stress ein biologisch sinnvoller Mechanismus, der uns Menschen durch blitzschnelle Mobilisierung des Organismus eine schnelle Anpassung an Belastungen und Herausforderungen ermöglicht.
„Stress ist die Würze des Lebens“, so ein bekanntes Zitat von Hans Selye. Nicht jede Herausforderung aktiviert das gleiche Stresslevel und nicht selten gibt es Situationen, in denen wir ausreichend eigene Ressourcen zur Bewältigung der Herausforderungen haben.
Es besteht also ein Zusammenhang zwischen dem Auslöser von Stress (Stressor), also z.B. dem Stau, dem Chef, der Prüfung, usw. und den daraus resultierenden Reaktionen der betroffenen Person auf körperlicher und mentaler Ebene.
Wie kann das sein, dass der „stressende Chef“ im Team bei den Mitarbeitenden so unterschiedliche Reaktionen auslöst, obwohl die Bedingungen und Ressourcen scheinbar so gleich sind?
Die versteckte Lücke zwischen Stressauslöser und deiner Stressreaktion
Nach der Auffassung von dem Stressforscher Lazarus gibt es keine Reize, die per se „objektiv“ als Stressauslöser wirken. Nicht jeder Mensch lässt sich im Autoverkehr gleichermaßen stressen, obwohl es sicher genügend Reize gibt.
So hat die individuelle, subjektive und emotionale Bewertung der Person, die die Situation erlebt, einen entscheidenden Einfluss. Ist die Situation überhaupt bedrohlich, schädigend oder herausfordernd? Wenn ja, wie intensiv ist das Stressempfinden? Die dritte Ampel in Folge ist rot, das nervt doch total! Oder bleibst du entspannt, weil du ausreichend Zeit hast und gelassen wartest.
Diese Bewertungsprozesse sind uns selten bewusst, denn Reize und Anforderungen tauchen meist spontan auf und lösen stark automatisierte „Antworten“ aus (direkt hupen, wenn der Vordermann nicht sofort Gas gibt). Das ist so ein versteckter Trick im Stressgeschehen. Aber den Trick können wir „knacken“, denn unsere eigenen Bewertungen oder Antworten können wir sehr wohl bewusst reflektieren. Und diese Reflexion ist sehr interessant und wertvoll.
Mentale Stressbewältigung – der Ball liegt bei dir
In der Reflexion können wir also unseren eigenen Mustern auf die Spur kommen. Den eigenen Anteil am Stressgeschehen nennt man den „persönlichen Stressverstärker“.
Wir alle haben grundlegende Werte und Motive im Leben, die uns wichtig sind und die uns antreiben. Wir haben sie im Laufe unserer persönlichen Sozialisationsgeschichte verinnerlicht und sie sind die Grundlage unseres Verhaltens.
Wenn wir unsere Bewertungsmuster kennen und es lernen, nicht direkt aus dem Autopiloten heraus automatisiert zu reagieren, können wir bewusste und hilfreiche Möglichkeiten finden, den Stressor zu umgehen oder zu entschärfen. Statt Öl ins Feuer zu gießen, können wir den Fuß in die Tür kriegen!
Was treibt uns denn so in Stress – klassische Antreiber
Gleich vorweg, es gibt natürlich auch Situationen, in denen wir (zu Recht) im Stress sind und keinen Handlungsspielraum haben.
Wir stärken unsere Kompetenz und Selbstführung aber in jeder Situation, wenn wir unsere stressverschärfenden Denkmuster erkennen, achtsam wahrnehmen und in förderliche Einstellungen transformieren.
Diese fünf beliebten Haltungen, Motivatoren, innere Antreiber oder Glaubenssätze sind im Stresskontext interessant:
Stress verschärfende Haltung – Sei perfekt!
Hinter dieser Haltung versteckt sich das Leistungsmotiv, der persönliche Fokus zielt auf Erfolg und Selbstbestätigung. Perfekte Leistungen sind natürlich im Arbeitsleben gern gesehen. Übertreiben wir dieses Streben, werden wir besonders stressanfällig in Situationen, in denen eigene Fehler möglich sind bzw. fast unmöglich sind. Denken wir nur an absoluten Zeitdruck, da spielt Timing gegen Fehlertoleranz.
Perfektionismus macht Spaß, wer freut sich nicht über 1a-Ergebnisse. Aber deshalb müssen wir dieses Leistungsstreben nicht unbedingt in alle Handlungen und Aktivitäten hineintragen, weder beruflich noch privat.
Stress verschärfende Haltung – Sei beliebt!
Hinter dieser Haltung steht das Bindungsmotiv, der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Angenommensein und Liebe. Das fühlt sich gut an und ist auch wichtig. Wird dieser Wunsch übermächtig, geraten wir in Situationen in Stress, in denen Ablehnung, Kritik oder Zurückweisung durch andere drohen. Zu schnell werden eigene Interessen zurückgestellt, um Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zu vermeiden.
Auf den Sei beliebt-Verstärker deutet schon mal eine übergroße Hilfsbereitschaft hin. Kompromisse sind wichtig, solange wir nicht versuchen, es allen recht zu machen.
Stress verschärfende Haltung – Sei unabhängig!
Hinter dieser Haltung steht das Autonomiemotiv, der Wunsch nach persönlicher Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ist noch lange nicht selbstverständlich und daher oft im Fokus. Übertreiben wir dieses Streben, geraten wir dann leicht in Stress, wenn wir eine Abhängigkeit von anderen, eigene Schwächen oder eigene Hilfsbedürftigkeit spüren.
Ein gesundes Streben nach Unabhängigkeit muss nicht im Widerspruch damit stehen, sich auch mal helfen zu lassen. Sorgen und Zweifel dürfen geteilt werden, ohne dass gleich das Bild der Stärke wackeln muss.
Stress verschärfende Haltung – Behalte die Kontrolle!
Hinter dieser Haltung steht das Kontrollmotiv, der Wunsch nach Sicherheit im und Kontrolle über das eigene Leben. Sicherheit ist ein hohes Gut, aber das Leben ist kein Projekt. Verselbständigt sich das Motiv, stressen uns Situationen, in denen Kontrollverlust, Fehlentscheidungen und Risiken möglich sind. Delegieren ist keine Option mehr und Entscheidungen kosten dadurch zu viel Kraft und Zeit.
In Zeiten zunehmender Komplexität bedarf das Sicherheitsstreben einen Ausgleich durch Mut zum kalkulierten Risiko, durch Loslassen und durch Vertrauen.
Stress verschärfende Haltung – Halte durch!
Hinter dieser Haltung steht das zentrale Streben nach Lustgewinn und Unlustvermeidung, welches zu stark unterdrückt wird. Es geht bei der Zielerreichung ausschließlich ums Durchhalten. Pausen fallen aus, Signale eigener Erholungsbedürftigkeit werden ignoriert und an unrealistischen Zielen wird zu lange festgehalten. Das führt zu ausgeprägter Stressanfälligkeit.
Disziplin hilft natürlich, die eigene Komfortzone bei der Zielverfolgung auch mal zu verlassen. Solange es eine bewusste Entscheidung ist, verliert diese Qualität ihre Härte und die Gefahr, die Balance zu verlieren.
Wie geht’s denn raus aus dem Stress – Antreiber zu Erlaubern werden lassen
Aber keine Sorge, alle genannten Haltungen oder innere Antreiber sind positive Tugenden, die nur bei Übertreibung Stress verstärken können! Es geht also wie so oft im Handeln um das richtige Maß, besser gesagt um die richtige Balance.
Jede Tugend hat eine sogenannte Schwestertugend und damit eine ausgleichende Entwicklungsrichtung. Dieser Ansatz von Schulz von Thun wird Werte- und Entwicklungsquadrat genannt. Damit können wir unsere persönlichen Haltungen wunderbar reflektieren und herausfinden, welche Entwicklungsrichtung für mich in bestimmten Situationen hilfreich ist.
Ein Beispiel dazu:
„Sei perfekt“ steht für Gewissenhaftigkeit und Qualitätsstreben, die Schwestertugend steht für Fehlertoleranz und Gelassenheit. Beide Qualitäten sind in der Übertreibung jeweils negativ. Perfektionismus und Pedanterie ebenso wie zu große Nachlässigkeit oder Schlampigkeit.
Vielleicht ist Qualität mit der Haltung von Gelassenheit zu kleinen Fehlerchen der neue Perfektionismus. Lassen wir unsere Antreiber ab und an zu „Erlaubern“ werden. Wir erlauben uns in passenden Situationen ein wenig von unseren grundlegenden Werten abzuweichen.
Stressfallen umgehen – Achtsamkeit hilft dir nachhaltig dabei!
Einen guten Umgang mit dem eigenen Stressgeschehen zu finden, ist ein Prozess. Die Praxis der Achtsamkeit hilft dir zunächst bei der Wahrnehmung deiner eigenen Muster, ohne diese zu bewerten oder gar zu verurteilen. Das passiert sonst leider schnell, aber genau darum geht es nicht. Du willst ja Stress reduzieren und dich nicht noch mehr stressen.
Achtsamkeit sensibilisiert dich für die Wahrnehmung im Moment, eine sehr wichtige Grundvoraussetzung, um die Lücke zwischen Stressauslöser und Reaktion zu erkennen!
Mit den Achtsamkeitsqualitäten im Gepäck macht das Erforschen der persönlichen Antreiber, der Stressmuster und der vielfältigen Stressauslöser richtig Spaß. Die Motivation für unterschiedliche Wege zur Regeneration entsteht fast von selbst.
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