Achtsamkeit – Lebst du schon den Moment oder bist du nur aufmerksam?

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Achtsamkeit Leben im Moment

Achtsamkeit oder Mindfulness begegnet uns an vielen Ecken und in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Das freut mich sehr, denn die Berührungsängste mit dieser von Buddha vor ca. 2500 Jahren auf den Weg gebrachten Praxis scheinen zu bröckeln. Also, was ist Achtsamkeit genau? Manchmal wird Achtsamkeit missverstanden, als etwas, was wir „konsumieren“ können. Achtsamkeit ist keine Modeerscheinung, sondern eine Haltung, mit der wir durchs Leben gehen können, so wie es viele Generationen bereits gemacht haben und hoffentlich noch sehr viele Menschen tun werden.
Wenn wir Achtsamkeit kultivieren, lernen wir unsere Energien bewusst zu lenken, anstatt sie zu verschwenden. Dazu möchte ich motivieren und erkläre daher wichtige Fragen rund um die Praxis der Achtsamkeit und für wen diese Übungspraxis sinnvoll ist.

Was bedeutet Achtsamkeit oder Mindfulness genau?

Meine kürzeste Erklärung für Achtsamkeit heißt: aufwachen in der Wirklichkeit. Es geht also darum, auf eine bestimmte Weise im gegenwärtigen Moment aufmerksam, wach und wirklich präsent zu sein und gleichzeitig dabei nicht zu bewerten. Eigentlich nichts Besonderes, stimmt.

Im Alltag sieht das oft anders aus. Wir sind häufig in gewohnten Handlungen unterwegs und nehmen einen großen Teil unserer Zeit NICHT bewusst wahr, weil wir mit unseren Gedanken beschäftigt sind: wir hadern mit Situationen vom Vortag, wir planen den anstehenden Einkauf, sorgen uns über anstehende Krisen oder tagträumen oder, …. Oft ertappt man sich dabei während einer längeren Autofahrt auf einer routinierten Strecke. Im Kontext von Achtsamkeit bezeichnet man das als „Autopiloten“. Unsere Kinder entlarven uns auch schon mal beim Frühstücken in Gedanken mit „Papa/Mama, du hörst mir gar nicht genau zu!“
Auch in stressigen Situationen neigen wir dazu, automatisch zu reagieren und immer wieder in die gleichen, nicht immer hilfreichen Muster zu fallen.

Achtsamkeit hilft uns, dem Augenblick unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken und dabei gleichzeitig bewusster wahrzunehmen, was wir denken, was wir fühlen und wie wir handeln, ohne in diesem Augenblick gleichzeitig etwas daran zu verändern. Das bringt uns in den Kontakt mit uns SELBST. Achtsam zu leben ist ein aktiver Vorgang und kein Zustand oder Ergebnis, was es zu erreichen gibt.
Mit dieser Kompetenz werden wir geboren, verlieren den Fokus darauf im Laufe des Heranwachsens mitunter aus den Augen. Kinder bis zum Alter von ca. 5-6 Jahren sind wahre Achtsamkeit-Profis, präsent und vorurteilsfrei im Moment unterwegs.

Für wen ist die Achtsamkeitspraxis sinnvoll?

Im Westen ist die Praxis der Achtsamkeit durch Jon Kabat-Zinn bekannt geworden, der sich in seiner Forschung und Lehre auf die Zusammenhänge von körperlichen und geistigen Aktivitäten konzentriert hat. Er hat das weltweit etablierte und erforschte Programm zur Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR – Mindfulness-Based Stress Reduction) entwickelt. Die Verhaltensmedizin geht davon aus, dass Denk- und Verhaltensgewohnheiten unsere Gesundheit sowohl positiv als auch negativ beeinflussen.

Die Praxis der Achtsamkeit ist also für ALLE Menschen sinnvoll, die ihre Gesundheit aktiv unterstützen möchten, sowohl präventiv als auch heilend!
Besonders sinnvoll ist die Achtsamkeitspraxis aber auch für Menschen, die ihren Horizont erweitern wollen und eine andere, feinere und tiefere Art des Wohlbefindens erfahren wollen. Bei dem Lebenstempo und der Komplexität des Alltags vergessen wir oft, dass es mehr geben darf, als „nicht krank“ zu sein!

Wenn wir Achtsamkeit kultivieren, lernen wir unsere Energien bewusst zu lenken, anstatt sie zu verschwenden und ermöglichen uns damit tiefe, innere Entspannungszustände. Das führt zur Regeneration von Körper und Geist sowie zur Klarheit über die eigenen Lebensumstände.

Welche Voraussetzungen brauche ich, um Achtsamkeit zu lernen?

Für den Übungsweg der Achtsamkeit brauchen wir genau EINE Voraussetzung: unsere bewusste Entscheidung zur aktiven Selbsthilfe oder Selbstfürsorge. Unsere Bereitschaft, unseren intrinsischen Antrieb, eigene Erfahrungen machen zu wollen und unsere Einsicht, dass kognitives Verstehen nicht reicht. Damit ist klar, dass es faktisch keine Voraussetzung gibt, die der Motivation „Achtsamkeit im Alltag“ zu leben, im Weg steht.

Unsere eigene Haltung, mit der wir die Praxis der Achtsamkeit lernen, ist entscheidend für unsere Persönlichkeitsentwicklung. Daher entwickeln wir auf diesem Übungsweg systematisch und kontinuierlich förderliche innere Einstellungen. Dies sind Qualitäten des Geistes und des Herzens, die auf Weisheit, Mitgefühl und Freundlichkeit zu uns selbst basieren. Was können wir uns darunter vorstellen?

Jon Kabat-Zinn hat sieben Achtsamkeitsqualitäten formuliert, die voneinander anhängig sind. Dazu gehören Nicht-Beurteilen, Geduld, der Anfängergeist, Vertrauen, Nicht-Greifen, Akzeptanz und Loslassen.
Wir üben uns darin, neue Erfahrungen mit einem frischen Blick zu machen, nicht alles gleich zu bewerten, Geduld zu haben und auf eine gute Entwicklung zu vertrauen. Akzeptanz ist die Voraussetzung für Veränderung. Loslassen darf auch mal heißen, nicht alles festhalten zu wollen. Nicht auf jedem Gedanken rumkauen zu müssen. In den Achtsamkeitsqualitäten liegen wahre Schätze und es macht richtig Spaß, diese auf dem Übungsweg für sich zu entdecken und in den eigenen Alltag zu heben.

Achtsamkeit - Achtsamkeitsqualitäten - Anfängergeist - Zitat Shunryu Suzuki
Achtsamkeitsqualität – Anfängergeist

Genau diese universelle Praxis schätze ich sehr. Es braucht KEINE körperlichen Voraussetzungen, auch wenn der Körper teil einiger Übungen ist. Es braucht KEINEN bestimmten Intellekt, KEINE Hilfsmittel, KEINEN speziellen Ort und KEIN Vermögen, um Achtsamkeit zur lernen!

Welchen Nutzen hat Achtsamkeit für mich?

Unsere Lebensumstände sind komplex, Stress ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens und unsere Erlebnisse und Erfahrungen sind vielfältig. Das Leben ist bunt und wechselhaft, manchmal ungerecht und meist voller Überraschungen. Gut so!

Genau für diese Dynamik ist Achtsamkeit eine sehr hilfreiche Kompetenz. Durch die Schulung unserer Aufmerksamkeit, durch bewusstes Wahrnehmen, Beobachten, Hineinspüren, bekommen wir zunehmend mehr Einsicht in unsere eigenen Muster und damit die Möglichkeit eine gewisse Kontrolle zu übernehmen. Wenn ich weiß, was mich in bestimmten Situationen stresst, kann ich die eine oder andere Stressfalle umgehen. Unter Zeitdruck, Parkplatz suchend und hungrig die Kinder von der Schule abzuholen kann z.B. unnötig auf die Nerven gehen.

John Kabat-Zinn hat den Umgang mit der Dynamik von Herausforderungen sehr schön am Beispiel des Kapitäns eines Segelschiffes verdeutlicht, der die Segel so zu setzen weiß, dass die Kraft des Windes ihn noch schneller voranbringt. Geradewegs gegen den Wind zu segeln, macht keinen Sinn. Wer nur bei Rückenwind segelt, kommt aber auch nur da an, wo der Wind ihn hinbläst und nicht dort, wo sein Ziel ist. Ein guter Kapitän hat gelernt, mit der Energie des Windes umzugehen, seine Erfahrungen und seine Ausdauer helfen ihm, seine Ziele auch bei Sturm zu erreichen.

Die Übung der Achtsamkeit macht uns zum Kapitän auf den Wellen des Lebens.

Achtsamkeit macht uns zum Kapitän auf den Wellen des Lebens.

Wobei hilft mir die Achtsamkeitspraxis?

Was sich durch die Übung von Achtsamkeit verändert, ist natürlich sehr unterschiedlich und abhängig vom Charakter, von den Lebensumständen, der eigenen Motivation, dem persönlichen Fokus und einigen weiteren Einflüssen.

Achtsamkeit ist die Grundvoraussetzung für Selbst-Bewusstsein und für Glücksempfinden, denn glücklich können wir nur im Moment sein.
Wenn wir im Alltag achtsamer sind, kommen wir in wirklichen Kontakt mit uns selbst und auch intensiver in den Kontakt mit anderen.
Wir erkennen klarer und früher, was uns glücklich macht und auch das, was uns nicht guttut.
Wir finden heraus, wer wir wirklich sind und vergrößern unsere Kraft für Veränderung.
Aus unterschiedlichen Perspektiven setzen wir bewusster und mutiger Prioritäten, erkennen und gehen neue Wege.
Wir lernen sukzessive freundlicher und geduldiger mit uns selbst zu sein und ermöglichen uns damit ein entspannteres, gelasseneres und lebendigeres Leben.

Wie kann ich Achtsamkeit praktisch lernen?

Achtsamkeit ist ja nichts grundsätzlich Neues für uns, denn wir alle kennen Momente, in denen wir aufmerksam und präsent im Moment sind und mit neuer Perspektive und allen Sinnen die Situation wahrnehmen. Das ist uns aber, so deutlich, meist nicht bewusst.

Achtsamkeit lernen oder üben wir grundsätzlich auf zwei verschiedenen Weisen:
in der formellen Übungspraxis ziehen wir uns für eine bestimmte Zeit (z.B. zwischen 3 und 40 Minuten) aus dem Alltag zurück, um eine Achtsamkeitsübung zu machen.
Zu den formellen Übungen gehören Meditationen im Sitzen, Stehen, Gehen und in der Bewegung sowie Übungen zur Körperwahrnehmung, wie der Bodyscan und leichtes Yoga. Diese Übungen werden strukturiert und regelmäßig unter Anleitung (live und als Audio) ausgeführt.

In der informellen Übungspraxis versuchen wir die Qualität von Achtsamkeit in unseren Alltag zu integrieren, in dem wir Tätigkeiten, die wir sowieso machen, mit Achtsamkeit machen. Das ist praktisch, denn dafür müssen wir keine extra Zeit aufwenden. Das sind ganz alltägliche Dinge wie Zähneputzen, Kochen, Essen, Spülen, spazieren gehen usw…. Dazu gibt es eine bekannte Weisheit eines Mönches: „Wenn ich gehe, gehe ich, wenn ich esse, esse ich, …“

Achtsamkeit - Gehmeditation auf dem Schöckl - Zitag von Thich Nhat Hanh
Gehmeditation im Alltag – hier beim Wandern in der Nähe von Graz

Achtsamkeitskurse laufen in der Regel über acht Wochen, damit sich der Übungsweg strukturiert und sukzessive entwickeln kann. Neue Gewohnheiten brauchen ihre Zeit und eine Begleitung über acht Wochen ist sehr hilfreich und wirksam. Der Austausch und die Erfahrungen in einer Gruppe (1-mal je Woche) sind zudem Gold wert. Die Verbundenheit und die Vertrautheit erleichtern die Entwicklung und machen richtig Freude. Kurse finden in Präsenz in kleinen Gruppen oder auch online statt.

Was ist der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Aufmerksamkeit?

In der Psychologie finden wir verschiedene Definitionen von Aufmerksamkeit (i.S. von Attention). Interessant finde ich die Definition von William James (1842-1910). Er war von 1876 bis 1907 Professor für Psychologie und Philosophie an der Harvard University.

Jeder weiß, was Aufmerksamkeit ist. Es ist die Besitzergreifung des Geistes, in deutlicher und lebhafter Weise, von einem von anscheinend mehreren gleichzeitig möglichen Objekten oder Gedankengängen. Zuwendung und Konzentration des Bewusstseins gehören zu ihren Voraussetzungen. Sie impliziert Vernachlässigung einiger Dinge, um andere besser verarbeiten zu können, und sie ist ein Zustand mit einem echten Gegenteil, nämlich dem verwirrten, benommenen, zerstreuten Zustand, der auf Französisch distraction und auf Deutsch Zerstreutheit heißt.

 William James, Principles of Psychology (1890)

Achtsamkeit als besondere Form der Aufmerksamkeit, mit einer wohlwollenden, nicht wertenden Haltung und offenem Herzen darf sich nach meinem Wunsch weit verbreiten.
Aber Achtung. Deine Aufmerksamkeit möchten alle, überall und immer, besonders in der Online-Welt und in den Medien. Deine Achtsamkeit schenkst du dir hingegen selbst.

Übungspraxis - Zitat von Meister Eckhard über den Zauber des Anfangs
Zitat von Meister Eckhard über den Zauber des Anfangs

Einen guten und leichten Einstieg in die Achtsamkeit kannst du über einen Living Mindfulness Kurs finden. Ich biete regelmäßig 8-Wochen Kurse in Präsenz und Online in kleinen Gruppen an. Erste Informationen dazu findest du auf meiner Webseite unter Living Mindfulness Kurse.
Oder du meldest dich einfach per Mail oder telefonisch und wir finden den richtigen Weg und den passenden Zeitpunkt.


Warum ich meine eigene Achtsamkeitspraxis so schätze, liest du in diesem Blog-Artikel: 7 Gründe, warum ich als Trainerin für Achtsamkeit meine eigene Routine so liebe

Tipps für Einsteiger in die Meditation findest du unter Meine 5 besten Einsteiger-Tipps in die Achtsamkeitsmeditation

In meinem Alltag beschäftige ich mich auf sehr unterschiedliche Weise mit Achtsamkeit – Monatsrückblick September 2022: Rein in die Praxis der Achtsamkeit

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