Vipassana-Meditationskurs: Tauche ein in dein Körperbewusstsein

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Vipassana Meditationskurs Körperbewusstsein Rezension

Im Juli hatte ich ein echtes „Wow“-Erlebnis – ich habe 21 Tage lang jeden Morgen um 6:00 Uhr eine geführte Meditation im Einführungskurs in die Vipassana-Meditation von Adriaan van Wagensveld mitgemacht (online). Dort haben wir intensiv Atembewusstsein geübt, unser Anker um im Moment präsent sein zu können. Diese wunderbare Erfahrung hat mich sofort neugierig gemacht, wie der Übungsweg (des Satipatthana Sutta) weitergeht.

Am 1. September bin ich erwartungsvoll in den Vipassana-Aufbaukurs (online) mit dem Schwerpunkt Körperbewusstsein gestartet. Was darf ich von einer Reise durch den Körper erwarten? Und wozu ist das wichtig?

Atembewusstsein – gehört bei Vipassana immer ins Gepäck

Im Einführungskurs haben wir uns mit den vier Aufmerksamkeitsübungen für Atembewusstsein vertraut gemacht. Wir haben gelernt, die Ein- und Ausatmung zu spüren, die ganze Länge von Ein- und Ausatmung aufmerksam zu begleiten, den ganzen Körper während der Atmung wahrzunehmen und dabei dem Körper zu erlauben in die Entspannung zu fließen. Das klingt vielleicht nach wenig und eher langweilig.

Aber Atembewusstsein hilft uns, Konzentration aufzubauen und ins Spüren zu kommen. Es braucht schon ein wenig Geduld und Übung, um die Aufmerksamkeit im Moment zu verankern. Aber nur so können wir nachhaltig vertraut werden mit unserem Körper, Gefühlen, Stimmungen und den ganzen Dingen, die uns so im Kopf rumtanzen. Und was wir kennen, können wir wandeln. (4 edle Wahrheiten von Buddha)

Körperbewusstsein – öffne dein Wahrnehmungsfeld in alle Richtungen

Anders als in vielen Meditationen geht es beim Vipassana nicht um Vertiefung der Konzentration, um dadurch einen bestimmten Zustand zu erreichen. Es geht vielmehr darum, das eigene Wahrnehmungsfeld zu öffnen, zu verbreiten. Körperbewusstsein ist das Fundament dieser Alltagspraxis: den Körper gerade so genau zu spüren, um vielleicht an oder in bestimmten Stellen vorhandene Anspannung zu bemerken. Und zu lernen, diese Anspannung langsam loszulassen.

Wenn das so einfach wäre, hätten wir z.B. mit Rücken- und Nackenschmerzen nicht mehr viel zu tun. Damit wir diesem Ziel näher kommen, dem Ziel zu lernen, wo wir Anspannung spüren und dann den Körper wieder in ein freies Fließen zu bringen, müssen wir ein paar Herausforderungen bewältigen. Eine Alltagspraxis findet nämlich nicht nur auf dem Kissen statt.

Wir üben Körperbewusstsein in jeder Körperstellung, als auch im Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen oder welche Position oder Haltung wir gerade einnehmen. Darüber hinaus lernen wir auch unseren Körper in allen alltäglichen Handlungen bewusst wahrzunehmen, also beim Essen, Trinken, Kommunizieren, Hinschauen, Wegschauen, bei der Körperpflege und allem, was wir zwischen Aufstehen und Einschlafen tun.
Aber keine Angst, der Tag wird dadurch nicht doppelt so lang, sondern einfach nur bewusster.

Körperbewusstsein – so spürst du deine Schieflage

Anspannungs- und Entspannungsbewusstsein üben wir in der formellen Praxis, die zu einer richtigen Forschungszeit wird. Am zweiten Tag war das der Fokus der Meditation. Adriaan hat uns für den Lernprozess einen bildhaften Vergleich angeboten:

Du bist ein Pferd, das eingespannt ist und immer diesen Wagen hinter sich herzieht. Und was du lernst, ist, dieses Pferd auszuspannen. Alles darf da sein und du bist frei im Atem spüren. Du brauchst dabei nichts mitzuschleppen. Der Wagen wartet, mit allem, was du mitschleppst und er ruft vielleicht sogar nach dir. Aber du bist im Moment frei beim Atem spüren.

Wortlaut von Adriaan van Wagensveld – ein bildhafter Vergleich in der Meditation

In der Meditation haben wir genau hin gespürt, ob wir irgendwo im Körper eine Anspannung bemerken. Ist diese Anspannung für deine Körperhaltung notwendig? Nichts verändern, nur beobachten, wo Anspannung spürbar ist. Sitzt du nicht in deiner Mitte oder ist deine Körperstellung vielleicht verdreht? Diese Fragen haben mir bei der Selbsterforschung sehr gut weitergeholfen. Ebenso die Anleitung, meine Position nur millimeterweise zu verändern und dabei wahrzunehmen, was sich verändert. Diese Erfahrung in der formellen Praxis lässt sich sehr gut am Tag immer mal wieder anwenden. Und ich habe bemerkt, was alles so im Alltag an mir zieht. Mit etwas Übung gelingt es mir inzwischen „das Pferd“ immer öfter auch auszuspannen.

Körperbewusstsein – Streicheleinheiten für Haut und Haar

Unsere Forschungsreise Körper macht sich auf den Weg Richtung Körperorganen und Körperflüssigkeiten. Unser Bewegungsapparat ist vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Sportarten zugänglich, mit unseren Körperorganen haben wir eher weniger Berührungspunkte. Also, wo steigen wir ein?

Der Körper von Haut umhüllt

Unsere Haut ist das Organ, welches quasi zwischen außen und innen liegt. An dieser Grenze liegen auch Kopfhaare, Körperhaare, Augenbrauen, Nägel und Zähne. Für die Meditation ein guter Ausgangspunkt, um hier ins Spüren zu kommen.
Das Einströmen der Luft in die Nase haben wir beim Atembewusstsein bereits intensiv wahrgenommen. Jetzt dient uns dieser (vertraute) Bereich, unsere Nasenlöcher, als Punkt zum Einzoomen unserer Aufmerksamkeit.

Wir nehmen uns viel Zeit genauestens die Berührung der Luft auf der Haut am Rand des Nasenloches und etwas nach innen zu spüren. Das geht in der Tat bei der Einatmung besser als bei der Ausatmung. Wenn wir uns davon lösen, gleich im Kopf etwas benennen zu wollen, gibt es auf der Haut am Nasenloch und darunter durchaus eine Art Streicheln der Luft zu spüren. Übungssache, Geduld ist hilfreich, Neugierde förderlich und jedes „müssen“ kontraproduktiv. Allein diese Übung fördert die Konzentration und macht Spaß.

Von diesem Bereich der Haut, wo die Atemluft uns hingeführt hat, erobern wir uns spürend die Gesichtshaut. Dazu gehören die Oberlippe, die Unterlippe, die Haut bis zum Kinn, die Mundwinkel, die Haut neben den Nasenflügeln, die Augenwinkel, die Nasenwurzel, die Haut auf der Nasenbrücke und der Nasenknorpel. So wird dieser ganze Bereich der Gesichtshaut präsent, spürbar, deutlich.

Die Kopfhaut mit und ohne Haare

Wir sammeln unsere Aufmerksamkeit ganz in Ruhe auf der Stirn und unterstützen uns dabei mit dem Bild der 1000 Fühl-Pünktchen. Diese Punkte verteilen sich über die gesamte Stirn und forschen nach Empfindungen wie Kribbeln, Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit, Luftströmen, Druck oder Leere. Manche Fühl-Punkte funken mehr, manche weniger. So entsteht ein Gefühl für die Kopfhaut ohne Haare.

Unsere Fühl-Pünktchen verdichten sich in der Mitte der Stirn auf einer runden Fläche von ca. 1 cm Durchmesser und wandern von dort als Fühl-Kreis zum Haaransatz nach oben. Hier erspüren sie halb die Haut auf der Stirn, halb die Haut mit Haaren. Ohne Atembewusstsein und Konzentration zu verlieren, ist auch ein kurzes Antippen dieser Stelle mit dem Finger hilfreich. Mit dieser Idee, die Haargrenze zu erforschen, wandern wir um den ganzen Kopf herum bis sich der Kreis wieder auf der Stirn schließt. An jeder Stelle verweilen wir für ein paar Atemzüge. Wir haben Zeit und Ruhe dafür.

Nachdem sich der Kreis des Haaransatzes geschlossen hat, verteilen wir unsere 1000 Fühl-Pünktchen innerhalb der Kreisfläche. Die Fühl-Pünktchen dürfen sich dort unendlich vermehren, um noch genauer ins Spüren zu kommen von Haarwurzeln, Temperaturunterschieden, Gewicht und anderen Phänomenen. Am Ende kann es sich durchaus so anfühlen, als hätte man eine Perücke auf. Obwohl ich keine wahre Haarpracht habe, ist es mir gelungen Haut und Haar lebendig wahrzunehmen.

Dürfen Streicheleinheiten anstrengend sein?

Im Anschluss an die 53-minütigen Meditationen sind wir in einen offenen Austausch gegangen. Die Erfahrungen beim Meditieren sind immer persönlich, schnell entstehen Zweifel, ob man es richtig macht. Daher ist diese Möglichkeit Gold wert.
Viele Teilnehmenden haben die Konzentration auf das Kopfhaar als anstrengend empfunden und gefragt, ob das überhaupt noch Meditation sei, so ganz ohne freies Fließen und Entspannung.

Laut Adriaan darf eine Meditation durchaus auch anstrengend sein, wenn die intensive Konzentration eine Erfahrung bietet, die das Spüren später leichter und präziser macht. Wie ist das zu verstehen? Sein praktischer Vergleich dazu:
Du nimmst das ganz Geschirr aus deinem Küchenschrank raus und stellst es auf den Tisch. Anschließend nimmst du jedes Teil einzeln in die Hand und stellst es zurück in den Küchenschrank. Durch diese bewusste haptische Erfahrung kannst du, egal wo du gerade bist, genau sagen, wo jedes Teil steht.

Gefühle, Stimmungen und Gedanken spiegeln sich im Körper und daher ist ein ausgeprägtes Körperbewusstsein eine wertvolle Ressource. Die Anstrengung lohnt sich also auf jeden Fall. Einmal gespürt, schnell wieder verfügbar.

Buddha Weisheit - Hab Geduld
„Alle Dinge sind schwierig, bevor sie einfach werden.“

Körperbewusstsein – wenn dir das Wasser im Mund zusammenläuft

Um ein Gefühl für unsere inneren Organe zu bekommen, müssen wir tief tauchen und Licht ins Dunkel bringen. Wie kann das gehen? Es ist Tag 15 und wir sind schon echte Spürnasen geworden. Jede Meditation beginnt mit Atembewusstsein und Sammlung. Welches Forschungsobjekt im Fokus ist, wissen wir nicht. So bleibt unser Anfängergeist wach und unser Geist braucht nicht nach „wissen wollen“ greifen.

Wir bringen unsere Aufmerksamkeit auf unseren Mund, erspüren trockene und feuchte Stellen, nehmen Speichel wahr. Parallel zum Atembewusstsein stellen wir uns eine Traummahlzeit vor, so ein richtig leckeres Essen. Wenig später tut sich etwas im Mund. Was passiert da und wo genau? Ich spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft, besser gesagt, wie Speichel seitlich der Zunge zu fließen beginnt. „Nicht schlucken“, lautet die nächste Ansage. Die Traummahlzeit vor Augen erforschen wir die Feuchtigkeit im Mund so lange bis eine neue Empfindung „z.B. unangenehm, zu viel“ auftaucht.

Meine Zunge scheint im Speichelsee zu schwimmen und der Drang zu schlucken steigt. Noch ein wenig die Berührung der Zunge an Lippen, Zahnreihen und Wange spüren. Dann endlich die Aufforderung ganz bewusst den Speichel zu schlucken.
Bei mir im gespannten Körper bewegt sich jetzt nur mein Schluckmuskel und ich begleite meinen Speichel neugierig die Speiseröhre runter. Es dauert eine ganze Weile. Gut kauen vor dem Schlucken macht für mich gleich doppelt Sinn.

Wir begleiten den Verdauungsweg systematisch weiter, aber je tiefer wir reisen, umso schwieriger wird es für mich zu spüren. Die Aufmerksamkeit zu trainieren ist ein Prozess und der Körper viel zu magisch, um gleich alles zu entdecken. Alle Meditationen können beliebig selbständig wiederholt werden. Das finde ich super, weil es eigenes Tempo zulässt.

Körperbewusstsein – ein Gesamtkunstwerk

Wir haben uns den Körper schrittweise forschend erschlossen, von den Körperstellungen, den Handlungen, Organen und Körperflüssigkeiten (weitere als Haut, Haar und Verdauung), den vier Elementen bis zum Thema Vergänglichkeit. So hat Buddha den Weg im Satipatthana Sutta beschrieben. Die Idee dahinter ist, eine Vertrautheit mit dem Körper als Einheit zu entwickeln, die sich wie eine ganz natürliche Empfindung anfühlt. So können wir unseren Körper im Alltag „im Hintergrund“ wahrnehmen, mal bewusst, mal weniger präsent.

In den Meditationen der letzten Tage haben wir genau diese Einheit ganz in Ruhe wahrgenommen, entspannt und frei fließen gelassen.

Verweilen. Da ist ein Körper da, dieser Körper körpert, atmet, wandelt sich, erhält sich, hält seine Stellung, atmet. … Da verweilt ein Übender in dieser Wirklichkeit. … Atmung, verweilen. … Die Aufmerksamkeit ruht in Körperbewusstsein.

Adriaan van Wagensveld, Wortlaut aus seiner Meditation an Tag 20

Fazit zum Aufbaukurs Vipassana – Mein Körper ist meine größte Ressource

Das Online-Format dieses 21-tägigen Aufbaukurses Vipassana Meditation mit den täglichen Meditationen von 6:00 Uhr bis 6:53 Uhr und dem anschließenden freiwilligen Austausch ist absolut alltagstauglich. Die Online Meditationsgruppe ermöglicht viel eigene Komfortzone und Vertrautheit und gleichzeitig ausreichend Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl und Motivation.

Adriaan leitet die Meditationen mit absoluter Ruhe und aus tiefer eigener Erfahrung an. Ich bin immer wieder verblüfft über seine Detailkenntnisse des menschlichen Körpers und noch viel mehr über die Begleitung zu diesen Erfahrungsräumen. Seine bildhafte Sprache, sein Sprachduktus und sein Gefühl für Tempo machen mir diese Meditationen sehr gut zugänglich. Der Austausch in der Gruppe hat gezeigt, dass es nicht nur mir so ging.

Ich persönlich schätze auch den konsequenten Bezug zur Quelle, zum Satipatthana Sutta, zur Lehrrede von Buddha über die vier Übungsbereiche der Achtsamkeit. Adriaan hat den Vortrag in einen zeitgemäßen Weg übersetzt.
Die wirklich unschätzbar wertvolle Übersetzung sehe ich im Transfer in den Alltag während der Austauschrunde. Und hier geht es nicht um Coaching, sondern um praktizierte Achtsamkeit. Ich bin sehr dankbar für die vielen sehr persönlichen Fragen und Erfahrungen, die sich durch das intensive Spüren des Körpers ergeben haben.

Darunter z.B.: Wie fühlt sich Narbengewebe an? Gibt es sanfte Wege, hier dranzubleiben? Was bedeutet Stechen auf der Haut? Steckt da was dahinter? Intensives Atembewusstsein kann positiven Einfluss auf Aussprache haben. Wenn ich nicht alles verstehen will, spüre ich mehr. Und ganz viel mehr.

Erfahrungen sind das wertvollste, was wir machen können. Und was gibt es Wichtigeres, als den eigenen Körper genau zu kennen? Ich habe bereits Erfahrungen mit Körperbewusstsein vor diesem Kurs gehabt und erlaube mir an dieser Stelle eine persönliche Empfehlung. Die Bedingungen von Format über Preis sind fair und auf jeden Fall ein Ausprobieren wert!

Wenn Fragen offen sind, kontaktiere mich gerne oder schreib einen Kommentar.


Meine Rezension zum Einsteigerkurs in die Vipassana Meditation von Adriaan liest du gerne hier: Meine Erfahrung mit dem Meditationskurs für Einsteiger – Vipassana@Home von Adriaan van Wagensveld

Du wissen willst, warum ich die Vipassana Meditation liebe und Achtsamkeit ein wichtiges Thema für mich persönlich ist? 7 Gründe, warum ich als Trainerin für Achtsamkeit meine eigene Routine so liebe

Ein paar ganz einfache Tipps zum Einstieg in die Meditation findest du hier: Meine 5 besten Einsteiger-Tipps in die Achtsamkeits-Meditation

2 Kommentare

  1. Liebe Sabine, das hört sich sehr spannend an und macht Lust, es auch auszuprobieren. Gerade hatte ich gelesen, dass Du bei Kirsten eine Ausbildung gemacht hast – ich kenne sie vom MBSR Kurs.
    Viel Spaß beim weiteren Körpererforschen
    Stefanie

  2. Danke liebe Stefanie, ja es ist spannend. Wie schön, dass Du Kirsten vom mbsr Kurs kennst. Es ist so wertvoll, mit Kirsten zu arbeiten. Die Ausbildung Living Mindfulness ist tief und zeitgemäß zugleich. Liebe Grüße an Dich, Sabine

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